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Mehr Daten, weniger Bauchgefühl – Interview zur Marktsituation mit Senior Shipping Analyst Jan Tiedemann

Ein Interview mit Alphaliner Senior Shipping Analyst Jan Tiedemann über die Pandemie-Jahre sowie aktuelle und kommende Trends im Markt

Jan, wirf doch mal einen Blick zurück auf die Corona-Zeit …

Mit gesperrten Häfen, stillgelegten Fabriken und einem blockierten Suezkanal brachte vor allem die Anfangsphase erhebliche Probleme im Markt. Aber dann stieg die Nachfrage nach Konsumprodukten enorm. Die Corona-Stimulus-Zahlungen in den USA haben diesen Effekt noch verstärkt, und zusätzlich haben die Schiffsstaus in den Häfen das Tonnage-Angebot sozusagen künstlich verknappt. Das hat die Frachtraten deutlich nach oben getrieben, vor allem auf den wichtigen Asien-Europa und den Transpazifik-Routen.

Und wie sieht es heute aus?

Die Lieferketten sind stabiler und die Frachtraten normalisieren sich zu einem gewissen Grad. Deren langfristige Entwicklung wird allerdings von den Trades abhängen. Transatlantik-Trades tendieren eher zu Kontrakt-Raten, andere Trades zu Spot-Raten. Die Inflation und der Krieg in der Ukraine hatten eine gewisse Zurückhaltung der Konsumenten und der gesamten Wirtschaft zur Folge. In absehbarer Zukunft werden wir wohl nicht zu Verhältnissen wie vor der Pandemie zurückkehren. Produktionen haben sich verlagert, und wir haben neue Regulierungen zum Umweltschutz, wie beispielsweise die EEXI- und CII-Regelungen, die beide auf einen geringeren CO₂-Ausstoß bei Schiffen abzielen.

Was verändert sich zurzeit in der Schifffahrtsbranche?

Kunden setzen stärker auf Zuverlässigkeit und lassen sich auf langfristige, stabile Raten ein. Sie zeigen Bereitschaft, für Qualität mehr zu bezahlen. Wir beobachten auch, dass die Frachteigentümer eine Reduktion der Emissionen einfordern. Dabei ist ihnen bewusst, dass dies zusätzliche Kosten bedeutet. Es gibt Zusammenschlüsse von Reedereien, die sich zum Ziel gesetzt haben, ihren CO₂-Ausstoß innerhalb der kommenden Jahrzehnte stark zu mindern. Die Schifffahrt möchte bis 2050 klimaneutral sein.

Werden sich alternative Treibstoffe durchsetzen und eine dauerhafte Lösung sein?

Momentan stehen Flüssigerdgas (LNG) und Methanol hoch im Kurs. LNG ist leicht zu verbrennen und erzeugt circa 20 Prozent weniger CO₂ als herkömmlicher Treibstoff. Es ist aber aufwendiger in der Handhabung und teurer. Konventionelles Methanol würde zwar weniger Schadstoffe wie Schwefel oder Feinstaub ausstoßen, ist jedoch nur CO₂-neutral, wenn es mit CO₂- neutraler Energie erzeugt wird. Die Herausforderung wird sein, CO₂-neutrale Treibstoffe in ausreichender Menge zu produzieren. Ich halte es nicht für möglich, das allein mit Wind- oder Solarenergie zu schaffen. Bis 2050 Klimaneutralität in der Schifffahrt zu erreichen ist aus meiner Sicht nur mit Atomkraft möglich, die CO₂-neutral ist und zur Herstellung synthetischer Treibstoffe genutzt
werden könnte. Containerschiffe werden immer größer.

Wann ist die maximale Größe erreicht?

In den vergangenen zehn Jahren sind die Schiffe fast nicht mehr größer geworden – sie wurden nur optimiert. Die Schiffe wurden bauchiger und langsamer und die Maschinenräume und Tanks kleiner. So ist mehr Platz für Container vorhanden. Theoretisch wären größere Schiffe möglich. Der wirtschaftliche Vorteil wäre aber so gering, dass die Branche aktuell kein großes Interesse daran zeigt.

Was können Reedereien jetzt tun, um sich langfristig erfolgreich am Markt zu behaupten?

Umweltschutz wird ein großes Thema sein. Ich glaube, jede der großen Reedereien muss einen Plan dafür haben. Ob es nun um die Reduktion lokaler Emissionen wie Feinstaub und Ruß oder globaler Emissionen wie CO₂, geht. Zusammenschlüsse von Reedereien wie die Zero Carbon Alliance haben sich zum Ziel gesetzt, innerhalb der kommenden Jahrzehnte einen großen Anteil ihres Frachtaufkommens CO₂-neutral oder zumindest CO₂-arm zu fahren.

Wo siehst du Vor- und Nachteile von Hapag-Lloyd im internationalen Wettbewerb?

Hapag-Lloyd ist solide gewachsen und konnte sich so als Top-Player im Markt festigen. Die Integration von anderen Reedereien wie UASC, aber auch kleineren Playern wie CSAV, NileDutch und Deutsche Afrika-Linien hat das Unternehmen gut abgewickelt. Nachteile waren bisher die schwache Aufstellung im Hafen- und Terminal- Portfolio. Dem hat Hapag-Lloyd aber durch Zukäufe wie der Spinelli Group, SM SAAM und J M Baxi Ports & Logistics sowie den erfolgreichen Kooperationen mit Eurogate, Tanger Med, Wilhelmshaven und bald Damietta entgegengewirkt – hier gibt es allerdings noch immer Entwicklungspotenzial.

Was werden aus deiner Sicht die großen Innovationen in unserer Industrie in den vorausliegenden Jahren sein?

Neue Schiffsgenerationen werden auf der Hardwareseite viele Verbesserungen aufweisen. Dazu gehören wie gesagt sauberere Treibstoffe, aber auch Optimierungen für einen geringeren Energieverbrauch. Darüber hinaus macht die Digitalisierung in der Schifffahrtsbranche große Fortschritte. Entscheidungen werden weniger auf Bauchgefühl und mehr auf Daten und KPIs basieren. Zudem dürfte die Market Intelligence künftig effizientes Liefern und niedrigen CO₂-Ausstoß besser in Einklang bringen. Wenn beispielsweise ein Terminal erst einige Stunden nach der geplanten Ankunft eines Schiffes verfügbar sein wird, kann dieses seine Geschwindigkeit reduzieren und so Treibstoff einsparen.

ÜBER JAN TIEDEMANN
Jan Tiedemann ist Senior Shipping Analyst bei Alphaliner, einem führenden Informations- und Beratungsunternehmen, das sich auf den globalen Containermarkt konzentriert. Er arbeitet bereits seit mehr als 15 Jahren für das Unternehmen und ist spezialisiert auf Forschung und Marktbeobachtung in den Bereichen Linienschifffahrt, Seehäfen und Terminalentwicklung.

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