Ein Jahr arbeitete Kapitän Christian Voß als Senior Director Marine Human Ressources am Ballindamm in Hamburg, jetzt geht es wieder in die weite Welt. Hier erzählt der leidenschaftliche Seefahrer, was er an Land gelernt hat, wie er eine Kollision auf dem Suezkanal miterlebte und welche Eigenschaften er als Kapitän unerlässlich findet.
„Personalführung für die fünftgrößte Reederei der Welt zu übernehmen, so ein Angebot schlägst du nicht aus!“ erzählt Kapitän Christian Voß. Gerade mal zwei Reisen hatte der 41Jährige nach seiner Beförderung zum Kapitän absolviert, als 2022 das Angebot kam im Flottenmanagement zu arbeiten. Raus aus der so genannten Komfortzone, etwas Neues wagen, warum nicht? „Einsatzplanung und Reisegespräche, arbeitsrechtliche Fragen klären, Neueinstellungen – auf der anderen Seite zu sitzen, das fand ich spannend!“ erklärt Voß.
Dennoch schlug das Herz des Kapitäns so sehr für die Seefahrt, dass er sich nach einem Jahr wieder aus dem Büro verabschiedete. „Den Unterschied zwischen Arbeit an Land und an Bord hatte ich unterschätzt: Wenn ich drei Monate fahre, bin ich rund um die Uhr im Einsatz. Steige ich aus, lasse ich alles hinter mir, ein anderer übernimmt und ich habe den Kopf frei bis zum nächsten Einsatz. Wenn Du an Land ein paar Tage weg bist, quillt schnell dein Postfach über. Ich konnte am Wochenende nicht richtig abschalten. Und mir fehlte das Leben an Bord mit all den verschiedenen Nationen, den täglichen Herausforderungen, der Seeluft, dem Meer – einfach alles!“ Missen möchte Christian Voß die Zeit im Büro trotzdem nicht: „Es war eine großartige Erfahrung und was ich mitnehme, ist vor allem der Respekt, den ich vor unseren Kolleginnen und Kollegen an Land gewonnen habe. Wenn Du unterwegs bist, fragst du dich schon mal, was die da im Büro eigentlich machen. Wie viel Arbeit und Knowhow dahinterstecken, die Flotte von Land zu betreiben, das weiß ich jetzt.“
Probelaufen auf der „Tsingtao Express“, Durchstarten mit nur einer Bewerbung
Wir sind auf der „Tsingtao Express“ am Containerterminal Altenwerder in Hamburg verabredet, ein kleiner Vorgeschmack auf Christian Voß’ nahe Zukunft. Im Juni geht es mit der „Kuala Lumpur Express“ wieder los. Voß kommt sofort mit dem diensthabenden Ersten Offizier und dem Kapitän ins Gespräch, fachsimpelt mit ihnen über die neuen Containerriesen, berichtet von den Schiffen von UASC, die jetzt unter deutscher Flagge fahren. Und er diskutiert ausführlich die Vor- und Nachteile verschiedener Motorentypen der namhaften Hersteller von Großdieselmotoren. Seine Vorfreude, bald unterwegs zu sein, ist unübersehbar.
Dabei wollte Christian Voß eigentlich Journalist werden. „Ich schrieb während der Schulzeit mit einem Freund für unsere Lokalzeitung in Flintbek, studierte nach dem Abitur Germanistik und Geschichte, um später ein Volontariat zu machen.“ Das Studium in Freiburg war nach einem knappen Semester allerdings selbst Geschichte: Der Student hatte im Internet nach neuen Job-Ideen gesucht und war dabei auf die Fachhochschule für Seeverkehr, Nautik und Logistik in Flensburg gestoßen. „Ich schrieb ganz blauäugig eine Mail, weil das interessant klang.“ Bis dahin hatte er nur eine einzige Berührung mit der Seefahrt: Wenn er mit seinen Eltern in den Ferien nach Italien fuhr, las er auf der Rückbank des Autos am liebsten Bücher über Schiffskatastrophen. „Der Untergang der ,Titanic‘ und der ,Bismarck‘ zum Beispiel – eigentlich keine gutes Omen“, lacht er. Voß bekam auf seine Anfrage eine ausführliche Mail zurück, in der ihm ein Student schrieb, welche Einstiegsmöglichkeiten es bei der Seefahrt gäbe. „Er empfahl mir Hapag-Lloyd, wo er sein Duales Studium absolvierte. Später sind wir sogar zusammengefahren.“ Genau eine Bewerbung schrieb Voß – an Hapag-Lloyd. Und wurde sofort genommen.
Im Eiltempo nach China, im physikalischen Grenzbereich Schiff an Schiff
An seine erste Fahrt erinnert sich Christian Voß bestens: „Dezember 2004 ging es Richtung China mit der damaligen ,Shanghai Express‘. Das Schiff, die Crew, das ganze Drumherum, alles war aufregend und neu. Mein erster Auftrag an Bord war allerdings journalistisch. Es sollten Fotos von der neue Ausbildungsgruppe für die Hapag-Lloyd News gemacht werden.“ Damals gab es hauptsächlich zwei Hauptfahrtgebiete bei Hapag-Lloyd: Die PAX-Dienste Richtung Westen nach Nordamerika, durch den Panamakanal bis nach Japan und zurück und die sogenannten Loops nach Fernost. „Auf denen waren wir unterwegs“, erzählt Voß: „Von Nordeuropa ging es über das Mittelmeer, durch den Suezkanal bis Singapur, nach China und zurück. Wir fuhren die Route im Eiltempo mit über 20 Knoten, da verbrauchst du locker 250 Tonnen Treibstoff am Tag. Heute ist das viel umweltfreundlicher, weil die Motoren effizienter laufen und wir langsamer fahren. Obwohl sich die Fracht mehr als verdoppelt hat und die Schiffe größer sind, kommen wir mit weniger als der Hälfte des Treibstoffs aus.“
2008 bestand Voß seine Ausbildung mit Auszeichnung, auch das Studium schloss er erfolgreich ab. Er war einer der letzten, der den Diplomstudiengang mit nautischem und technischem Patent absolvierte. „In der Maschine zu arbeiten ist mindestens so interessant wie auf der Brücke zu stehen. Größere Wartungsarbeiten, wie beispielsweise das Ziehen eines Kolbens als Zweiter Ingenieur selbst durchgeführt zu haben, aber auch die Zusammenhänge der technischen Systeme zu kennen, gibt dir auf jeden Fall Sicherheit. Nach meinem Studium habe ich in beiden Bereichen bis 2015 abwechselnd gearbeitet.
Voß erlebte in dieser Zeit weder verheerende Stürme, noch größere Katastrophen, wie sie in seinem Jugendbüchern gelesen hatte, aber den Zusammenstoß zweier Containerschiffe auf dem Suezkanal hat er nicht vergessen: „Ich war Wachoffizier auf der „Colombo Express“, als es passierte. Morgens gegen 7:30 Uhr, verrutschte plötzlich mein Laptop auf dem Tisch in meiner Kammer. Ich hatte noch keinen Dienst. Der Suezkanal war ruhig, vielleicht lag’s an einem liegengebliebenem Fischerboot, dem wir ausweichen mussten? Aber da hatten wir Backbord schon in das andere Containerschiff gerammt.“
Was passiert war? „Am nördlichen Eingang des Suezkanals verlaufen zwei Kanalarme wie ein Ypsilon ineinander, Schiffe, die vom Containerterminal in Port Said abgefertigt worden sind, können direkt in den Kanal einscheren. Wir waren auf dem Hauptkanal im Westen unterwegs, das andere Containerschiff wollte im Reisverschlussverfahren von Osten einfädeln. Die Lotsen der beiden Schiffe argumentierten minutenlang lautstark am Funk, doch da war es eigentlich schon zu spät. Aufgrund der physikalischen Trägheit, die mit der Schiffsgröße exponentiell wächst, müssen Beschleunigungs- oder – wie in diesem Falle – Bremsvorgänge entsprechend antizipiert werden. Die nötige Zeit zum Aufstoppen hat aufgrund der erhöhten Geschwindigkeit und der niedrigen Distanz gefehlt. Die Schiffe bewegten sich trotz aller Bemühungen unaufhaltsam aufeinander zu und kollidierten seitlich. Dabei gingen drei Container des Kollisionspartners über Bord, unser Schanzkleid am Bug war demoliert und die Backbord-Positionslampe verbogen und kaputt. Die konnten wir allerdings in einer halben Stunde per Kettenzug notdürftig richten und anschließend mit Ausnahmegenehmigung weiterfahren. Es ist kein Mensch zu Schaden gekommen, das ist das Wichtigste“, resümiert Voß.
Im Gänsemarsch nach Indien
Die erste Fahrt als Kapitän hat er in besonderer Erinnerung: „Ich wurde gemeinsam mit Dennis Schwartz und Danica Menze befördert und wir drei fuhren kurz nacheinander die gleiche Route Richtung Indien, dort war ich noch nie gewesen. Dennis fuhr voraus und versorgte uns, wann immer nötig, mit den wichtigsten Infos über Lotsen, Häfen und Besonderheiten, das war großartig – Teamwork gibt’s nämlich auch unter Kapitänen“, fügt er hinzu. Und die Zusammenarbeit an Bord? Wurde er von allen als Chef akzeptiert? „Klar ist das erstmal aufregend. Wie dich die Leute angucken und du in ihren Gesichtern sofort lesen kannst, was ist wohl das für einer? Ich habe mich verhalten, wie ich selbst behandelt werden will. Respektvoll. Das Bordleben funktioniert nur, wenn alle wertgeschätzt werden, ob Wiper oder Dritte Ingenieurin, Oiler oder Koch. Der Koch allerdings besonders!“, grinst Voß und ergänzt: „Man bricht sich keinen Zacken aus der Krone, wenn man mit den philippinischen Kollegen auch mal Karaoke zusammen singt.“
Kleiner Hafen und ein „Tag in der Hölle“
So sehr Christian Voß die großen Häfen die großen Welt schätzt, ein kleiner hat es ihm besonders angetan: „Der Hafen von Prince Rupert in British Columbia ist einzigartig. Die Landschaft ist von Fjorden durchzogen, das einzige Terminal befindet sich direkt an einem bewaldeten Berghang. Dahinter liegt die Kleinstadt mit ihren gerade mal 12.500 Einwohnern. Du kommst in den Kneipen schnell ins Gespräch. Die Einheimischen zeigten uns damals Videos von ihren Snowspeedern, mit denen sie die Berge hochheizen – alles war super familiär, das mochte ich. Die meisten großen Häfen liegen Stunden von der jeweiligen Stadt entfernt, da müssen Landgänge schon sehr genau geplant werden.“
Seine letzten Wochen an Land will Christian Voß vor allem dazu nutzen, sein neues Gravelbike auszuprobieren, denn Radfahren ist seine große Leidenschaft. „Morgen nehme ich zum ersten Mal an einer ziemlich anspruchsvollen Gruppenfahrt teil, die eine Kieler Fahrrad Community organisiert. Es geht rund 120 Kilometer quer durch Schleswig-Holstein über Hügel und Kopfsteinpflaster. Die Tour heißt ,A Day In Hell‘ – hoffentlich überlebe ich das!“, lacht der sympathische Kapitän.